Bruce Springsteen wird 70

Rock-Ikone

Berlin (dpa) - Nur wenige Rockmusiker sind so bekannt und zugleich so bedeutsam, dass ihre Songtexte zwischen Buchdeckel gepresst werden. Bruce Springsteen, der am Montag (23. September) 70 Jahre alt wird, hat - wie auch Literaturnobelpreis-Träger Bob Dylan - diesen Ritterschlag schon zu Lebzeiten erhalten.

Und wer hätte es mehr verdient als dieser Songschreiber, der das Alltagsleben in den USA und deren ganz normale Bewohner, ihre Träume und Illusionen so sensibel porträtiert hat. Vom juvenilen Aufbruch im Jahrhundertsong «Born To Run» (1975) bis zum einsamen Rückblick in «Moonlight Motel» vom aktuellen Album «Western Stars» (2019): Springsteen findet die richtigen Worte - übrigens auch für beißende politische Kritik, etwa an Polizeigewalt in «American Skin (41 Shots)», an Diskriminierung und Ungerechtigkeit der US-Gesellschaft.

Der kürzlich erschienene, ziegelsteindicke 100-Songtexte-Band «Like a Killer in the Sun» zementiert den Ikonen-Status eines Mannes, den Millionen Fans respekt- und liebevoll «The Boss» nennen. Fast gleichzeitig lief im August der auf einer wahren Geschichte basierende Film «Blinded By The Light» in den Kinos. Er schildert die kraftspendende Wirkung von Springsteens aufrüttelnden Liedern auf einen jungen Außenseiter im eisigen Großbritannien der Thatcher-Jahre. Für einen der Film-Protagonisten sind Texte und Musik des Amerikaners «der direkte Draht zur Wahrheit».

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Denn das ist die zweite Seite des neben Paul McCartney derzeit wohl berühmtesten und populärsten Rocksängers der Welt: Die mitreißende, auch mal bombastische Musik (von manchen als simpler «Stadionrock» bekrittelt) macht seinen Reiz ebenso aus wie die oft an großes Kino erinnernde Songpoesie. Zudem fasziniert Springsteen mit seinem menschenfreundlichen Charisma - gewissermaßen als Verkörperung des «guten Amerikaners», der jeden einzelnen Zuhörer auch in der größten Arena ganz persönlich warmherzig anzusprechen scheint.  

Während der inzwischen 78-jährige Dylan - neben Woody Guthrie, Pete Seeger, den Beatles und Johnny Cash ein Vorbild Springsteens - vor allem als rätselhafter Dichter mit knarrender Folk- und Blues-Beilage wahrgenommen wird, bietet der Singer-Songwriter aus dem US-Bundesstaat New Jersey das ideale Gesamtpaket. So ideal, dass Springsteen im Laufe einer gut 45-jährigen Karriere weltweit geschätzte 130 Millionen Tonträger verkaufen konnte, 50 Mal für den Grammy nominiert wurde und ihn 20 Mal gewann.

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«Ich komme aus einem Küstenstädtchen, in dem fast alles einen leichten Anstrich von Lug und Trug hat. Genau wie ich.» So lauten die ersten Worte in der Autobiografie «Born To Run» (2016), die für ihre literarische Qualität ebenso gefeiert wurde wie für ihre Ehrlichkeit.

Springsteen - am 23. September 1949 in eine italienisch-irische, streng katholische Arbeiterfamilie hineingeboren - tut gar nicht erst so, als hätte er auch nur einen Teil seiner Song-Storys vom kleinen Mann am eigenen Leib erlebt. Er sei ja stets Musiker (und das Schleppen von Gitarrenkoffern die für ihn härteste körperliche Plackerei) gewesen, so lässt sich die selbstironische Beschreibung seiner Anfänge zusammenfassen.

Aber «ein loderndes Feuer in dir», das müsse halt immer da sein, um es als junger Gitarrist und Bandleader aus der tiefsten US-Provinz an die Spitze zu schaffen - und sich dort dann zu halten. Dieses Feuer gefiel auch Jon Landau, einem Journalisten, der 1974 den später viel zitierten Satz über den noch unbekannten Musiker schrieb: «Ich sah die Zukunft des Rock 'n' Roll, und sein Name ist Bruce Springsteen.»

Bruce Springsteen auf dem "The River"-Cover von 1980. © Columbia
Bruce Springsteen auf dem "The River"-Cover von 1980.
© Columbia

Landau wurde bald Manager des nach zwei mäßig erfolgreichen Alben noch ungeschliffenen Diamanten. Und Bruce Springsteen zahlte den Vorschuss schnell zurück: Ein Jahr später kam das vor Trotz und Sehnsucht nach Größe geradezu berstende «Born To Run» heraus, eine der besten Rockplatten aller Zeiten mit epischen Liedern wie dem Titelsong, «Thunder Road», «Backstreets» oder «Jungleland».

Dieses Album mit der jungen E Street Band um den afroamerikanischen Saxofonisten Clarence «Big Man» Clemons, Springsteens engsten Freund, ermöglichte den Durchbruch in die Superstar-Liga. Es beförderte ihn 1975 gleichzeitig auf die Titelseiten der großen US-Magazine «Time» und «Newsweek».

Der deutsche Sänger und Songschreiber Heinz Rudolf Kunze, der die Springsteen-Texte jüngst eindrucksvoll übersetzt hat, dachte wohl auch an «Born To Run», als er im Magazin «Rolling Stone» schrieb: «Springsteen benutzt die Sprache als Transportmittel für Szenen, Bilder, traumartige Hörfilmsequenzen, er denkt eher cineastisch als linguistisch, in vielen seiner Songs könnte man den handelnden Personen Gesichter wie James Dean, Marlon Brando, Montgomery Clift oder Robert Mitchum zuordnen.»

Auch mehrjährige Vertragsquerelen konnten ihn nicht mehr stoppen. Mit seiner aus Folk, Soul, Blues und Rock gebauten, uramerikanischen Musik wurde Springsteen «The Boss» - ein Künstler, dem die Menschen vertrauen wollten (und konnten). Es folgten weitere Albumklassiker wie «Darkness On The Edge Of Town» (1978), «The River» (1980), «Nebraska» (1982) und das als zunächst platt patriotisch missverstandene «Born In The U.S.A.» (1984). Mit schweißtreibenden Marathon-Liveshows füllte Springsteen gigantische Hallen.

In den 90er Jahren wurde es ruhiger um ihn. Springsteen war nie ganz weg, aber er nahm sich nun mehr Zeit fürs Privatleben und heiratete 1991 die Sängerin Patti Scialfa. Mit ihr hat er drei inzwischen erwachsene Kinder. Seine nächste große Stunde als Songwriter schlug 2002, kurz nach den Terroranschlägen in den USA. Mit dem Album «The Rising» schaffte Springsteen das Kunststück, die Trauer einer zutiefst verletzen Nation in emotionalen, kitschfreien Liedern ohne Rachegefühle zu bündeln.

Bis heute ist Springsteen ein (staunenswert gut durchtrainierter) US-Volksheld geblieben, der sich klar von jedem Rechtspopulismus abgrenzt und seine linksliberale Haltung auch mal mit Wahlhilfe für die Demokraten zeigt. «Ich bin der Präsident - aber er ist der Boss», sagte Barack Obama 2009 bei einer Ehrung für seinen Freund Bruce und dessen «Lieder von Träumen und Verzweiflung, Kampf und Hoffnung». Da hatten sich zwei Brüder im Geiste gefunden...

Überraschender als dieses Lob des ersten schwarzen US-Präsidenten war für die meisten Leser der Autobiografie, wie sehr Springsteen unter Depressionen litt und was er manchen Mitmenschen deswegen zeitweise zumutete. Noch einmal Heinz Rudolf Kunze über den «Boss» und seine Offenheit: «Da ist er das exakte Gegenteil von Dylan, über dessen Person man nie etwas erfährt, absolut gar nichts...»

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Trotz dieser lange kaum bekannten Probleme blieb Springsteen als Künstler immer integer, mit starken Alterswerken wie «Devils And Dust» (2005), «Wrecking Ball» (2012) und der jüngst auf Platz 1 der Albumcharts gesprungenen grandiosen Folkpop-Platte «Western Stars». Einen weiteren Triumph erlebte «The Boss» 2017/18 bei über 230 ausverkauften Shows im Walter Kerr Theatre am Broadway, wo er zu Gitarre, Piano und Mundharmonika über sein Leben sang oder erzählte.

Für 2020 hat der dann 70-Jährige ein neues Album mit der längst legendären E Street Band in Aussicht gestellt. Deren Gitarrist Steve «Little Steven» Van Zandt freut sich schon: «Also werden wir wohl zusammen zurückkehren, und es wird toller als je zuvor», sagte er kürzlich dem Magazin «Mojo».

Auch der Singer-Songwriter Thees Uhlmann schätzt den US-Kollegen, dessen Autobiografie er 2016 als Hörbuch einlas: «Er ist so eine Stimme der Vernunft im Irrsinn. Einer von denen, die versuchen, die Gesellschaft zusammenhalten», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Die Springsteen-Saga, eine der besten Heldengeschichten der Rockmusik, kann weitergehen.

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